Wie alles anfing ...
Der naive Optimismus und der Realitätsverlust durch die rosarote Urlaubsbrille
1995 war es soweit. Unser Traum wurde Realität. Der Umzug nach Portugal war vollzogen! Jahre vorher hatten wir davon geträumt, geplant und gespart. Es war perfekt organisiert und vorbereitet. Unsere portugiesischen Freunde warteten schon sehnsüchtig auf uns. Dachten wir …
Viele Dinge, die wir in Deutschland auf dem Trempelmarkt regelrecht verschenkt hatten, mussten wir für teures Geld mühsam wieder anschaffen. Dafür verstaubt 50% des Umzugsgutes seit Jahren ungebraucht im Lager. Aus unseren langjährigen, guten Urlaubsfreunden wurden urplötzlich und ohne Vorwarnung fremdsüdländische Personen, die sich wunderten, dass wir tatsächlich mit Sack und Pack aufgekreuzt sind; sie sagten kurz angebunden ein kleinlautes Ola´, und gingen dann ihrem gewohnten Leben nach, ohne uns weiter zu beachten.
Der Status des geldbringenden Touristen war vorbei. Jetzt waren wir nervende und unerfahrene Realität und das roch nach Missverständnissen. Zur Anpassung an diese neue Situation benötigt man deshalb entsprechende Hilfsmittel. Gut, dass es da für uns anpassungsfähige Ausländer und Greenhorns das Wort “amanhã” gibt.
Amanhã …
Amanhã ist portugiesisch und bedeutet wörtlich übersetzt morgen. Wenn wir Deutsche “morgen“ sagen, dann ist dieser Begriff für uns genau definiert: Morgen ist immer am nächsten Tag in der Zeit zwischen 10.00 Uhr und 11.59 Uhr weil 12.00 Uhr ist ja schon wieder mittags und vor 10.00 Uhr ist morgen früh. Für Portugiesen gilt eine andere Zeitrechnung, die auch funktioniert, aber nicht so wie die unsere. Denn amanhã bedeutet nicht nur morgen zwischen 10.00 Uhr und 11.59 Uhr, sondern auch: eines Tages morgens, oder irgendwann mal morgens, vielleicht nächste Woche morgen oder eventuell nächstes Jahr an irgendeinem Morgen. Das muss man so akzeptieren und erst leidvoll begreifen. Oft bringt der Portugiese damit auch nur zum Ausdruck, dass er sich im Moment nicht mit diesem Thema beschäftigen will; aber du verstehst: amanhã, also morgen - also zwischen 10.00 Uhr und 11.59 Uhr. Und wenn man am anderen Morgen um 12 Uhr sauer ist, weil er nicht gekommen ist und 2 Stunden auf ihn gewartet hat, dann bist Du selber schuld, nicht er. Er hat ja klar und deutlich gesagt: amanhã. Die Wichtigste Erkenntnis jedenfalls ist die Kenntnis, in welcher Kneipe er morgens seinen Kaffee trinkt oder Mittag macht. Da ist er nämlich täglich - zuverlässig und pünktlich zur exakt der gleichen Zeit. Da kann man seine Uhr danach stellen.
Portugiesisch - mehr als nur Sprache
Portugiesisch ist nicht schwerer zu erlernen, als andere Fremdsprachen. Es ist nur ungleich schwieriger, sie auch zu begreifen. Das ist ein unvollendetes Lebenswerk. Und das macht sie so faszinierend und lebendig, weil sie im Alltag nicht aus perfekter Wortwahl und reinster Grammatik besteht, sondern aus einem momentanen Lebensgefühl. Der Portugiese ist nicht dumm, er denkt nur anders.
Man spricht unheimlich viel und sagt trotzdem nichts. Man denkt weder Vor noch Nach. Man denkt im Jetzt. Das macht den Portugiesen für uns so sympathisch und interessant, oder aber zum Dampfplauderer, auf den man sich nicht verlassen kann. Je nach zeitlicher Sichtweise.
Die ersten Freunde …
Als Erstes bekommt man Kontakt mit einer ganz besonderen Rasse. Mit in Portugal lebenden Deutschen. Ich rede jetzt nicht vom Rentner, der seinen wohlverdienten Ruhestand in der Sonne geniest oder vom hier praktizierenden deutschen Zahnarzt. Ich meine die Anderen. Sie findet man ganz leicht in jeder Dorfkneipe. Gut gelaunt, braungebrannt, immer einen flotten Spruch auf den Lippen, arbeitsscheu, aber trinkfest. Und es sind Millionäre, wenn man sie reden hört. Meine Frau und ich haben uns damals angeschaut und gedacht: Wir sind ganz schön blöd gewesen in unserem bisherigen Leben.
Mich ärgert es heute noch, wenn wir morgens zur Arbeit fahren. Dann sitzen sie schon beim 5. Schnaps in der Sonne, grinsen dich mitleidig an weil du ja arbeiten musst und halten grosse Vorträge, was sie für tolle Typen sind und über Portugal im Allgemeinen. Dankbare Zuhörer finden sie während der Saison zur Genüge. Neuankömmlinge und Touristen laden wissbegierig zu unzähligen Bieren ein und sie schnorren dabei eine Zigarette nach der anderen. Wir haben auch unser Lehrgeld bezahlt. Im Winter betteln sie dich dann ständig an, weil sie kein Geld haben.